Städten und Gemeinden mehr Möglichkeiten für Tempo 30 einräumen

Die Vorteile von Verkehrsberuhigung und Temporeduktion im Ortsgebiet sind überzeugend: Weniger Verkehrsunfälle, weniger menschliches Leid, mehr Lebensqualität im Wohnumfeld. Wir nehmen Tempo 30 statt 50 akustisch als Halbierung des Verkehrs wahr. Trotzdem behindert die aktuelle Rechtslage Städte und Gemeinden auf dem Weg zur notwendigen Verkehrswende. Es braucht einen neuen straßenverkehrsrechtlichen Rahmen, der es vereinfacht, Tempo 30 als verkehrlich, sozial, ökologisch und stadtplanerisch angemessene Höchstgeschwindigkeit überall dort umzusetzen, wo es sinnvoll ist – auch auf Straßenzügen im Hauptverkehrsstraßennetz sowie auf Landesstraßen innerorts.

Koordination statt Wildwuchs: City-Logistik als Konzept für die Zukunft

Urbaner Güterverkehr verursacht global betrachtet zwar lediglich vier Prozent des Güterverkehrsaufwands in Tonnenkilometern, jedoch rund ein Viertel der CO2-Emissionen. Neben dem Aspekt der Klimaverträglichkeit stellt er Städte jedoch auch aus anderen Gründen vor große Herausforderungen: Transportfahrzeuge sind überdurchschnittlich oft an Verkehrsunfällen beteiligt, verursachen durch häufiges Anfahren und Abbremsen verhältnismäßig viel Lärm und Schadstoffe, der hohe Zeitdruck kombiniert mit fehlenden Ladezonen führt oft zum Halten in zweiter Spur oder auf Geh- und Radwegen, was ein Sicherheitsrisiko und Hindernis für andere Verkehrsteilnehmende darstellt. Was dazu kommt: diese Herausforderungen werden sich nicht von alleine bewältigen. Gemäß Prognosen nimmt der Verkehrsaufwand im Segment urbaner Güterverkehr global bis zum Jahr 2050 überdurchschnittlich stark um 41 Prozent zu.

Grafik, die veranschaulicht, dass die Zahl der Hitzetage und Tropennächte in Wien, Graz und Linz von 1981 bis 2021 stark zugenommen hat inklusive einer Prognose der künftigen Entwicklung bis zum Jahr 2100 mit weiter steigender Tendenz
Hitzewellen nehmen zu

Durch die Erderhitzung nehmen Wetterextreme, wie Starkregen, Stürme und, wie derzeit stark bemerkbar, Hitze zu. Im Zeitraum der Jahre 1971 bis 1991 gab es in den meisten Österreichischen Landeshauptstädten fünf bis elf Hitzetage mit über 30 Grad. Zwischen den Jahren 1991 bis 2020 waren es bereits 16 bis 22 Hitzetage und Höchstwerte bei über 40. Eine Studie der ETH Zürich rechnet in Wien im Jahr 2050 mit Temperaturen wie heute im nordmazedonischen Skopje. Für Kärnten wird bis zum Jahr 2100 mit einem Anstieg von bis zu 4,2 Grad Celsius im Jahresmittel gerechnet. Das hat gravierende Folgen. Mit der Zunahme von Hitzetagen treten auch vermehrt gesundheitliche Risiken auf.

Fehlanreize abschaffen, ökosoziale Reform des Pendelpauschales angehen

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat das Thema Energieabhängigkeit schlagartig weit nach oben auf die politische Agenda gebracht. Zu Recht, denn die derzeitige Import-Abhängigkeit von fossiler Energie ist mehrfach problematisch: als unkalkulierbarer Kostentreiber für Privathaushalte sowie als Unsicherheitsfaktor für die politische und wirtschaftliche Stabilität Österreichs. Mehr als 90 Prozent des importierten Rohöls stammen aus Kasachstan, Libyen, Irak, Russland und Jemen – allesamt keine Horte von Stabilität, Demokratie und Menschenrechten. Mit 81 Prozent wird der Großteil des Rohöls im Verkehr verbrannt – wo demnach der größte Handlungsbedarf besteht.

Tempo 30 in der Stadt rettet Leben

Menschen in Städten sind besonders von den negativen Auswirkungen des Verkehrs betroffen – und das hat auch gesundheitliche Folgen. Abgestellte Autos nehmen in Städten einen großen Teil des öffentlichen Raums ein. Die starke Versiegelung ändert das Mikroklima und erhöht lokal die Hitze nachweislich. Gleichzeitig stellen sowohl durch abgestellte Autos verstellte Straßen und Kreuzungen aufgrund der Sichteinschränkung und die hohen Geschwindigkeiten der fahrenden Fahrzeuge ein Sicherheitsrisiko insbesondere für alle, die zu Fuß, mit Fahrrad oder Roller mobil sind, dar. Verkehr verursacht maßgeblich Schadstoffe in der Luft. Das führt zu Lungenkrankheiten und Einschränkungen wie Atemnot oder Husten. Kopfschmerzen und Schlafstörungen sind nur zwei der vielen Auswirkungen von dauerhaftem Verkehrslärm auf die Gesundheit der Menschen. Eines ist klar, Verkehr beeinträchtigt unsere Gesundheit.

Grafik: VCÖ 2021
Menschengerechtes Verkehrssystem heißt: Tempo 30 innerorts zum Standard machen

Im Jahr 1992 war die Stadt Graz mit der Umsetzung von flächendeckendem Tempo 30 mit Ausnahme der Hauptstraßen internationale Vorreiterin. Zahlreiche Städte in Österreich, etwa Dornbirn, Leoben und Mödling sowie international, wie Grenoble, Helsinki, Lille, Zürich oder Barcelona sind dem Beispiel gefolgt. Zuletzt setzte Brüssel zu Beginn des Jahres 2021 Tempo 30 im verbauten Gebiet als Standard, Tempo 50 wurde zur beschilderten Ausnahme. Im Jahr 2020 wurde in den Niederlanden im Parlament beschlossen, flächendeckend Tempo 30 einführen zu wollen. Seit 11. Mai 2021 ist dies in Spanien als erstem EU-Staat Realität, landesweit gilt Tempo 30 im Ortsgebiet auf Straßen mit einer Kfz-Fahrbahn je Richtung, Tempo 20 auf Straßen mit nur einer Fahrbahn. In Österreich wird derzeit an einer Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO) gearbeitet. Es lässt sich mit Hinblick auf die lokale Lebensqualität sowie Verkehrssicherheit kaum begründen, warum Österreich dem spanischen Beispiel nicht folgen sollte.

Platz für Fortbewegung und Aufenthalt schaffen

Von vielen unbemerkt hat die Dominanz des Autos in den letzten Jahrzehnten auch den Sprachgebrauch geprägt. Beispielsweise wird von "Straßensperren" gesprochen, wo eigentlich eine Straßenöffnung für multifunktionale Nutzung und Belebung gemeint ist, oder von "Parkplatzverlust", wo ein Raumgewinn erreicht wird. Dass der Straßenraum als öffentlicher Aufenthalts-, Sozial- und Spielraum in den letzten Jahrzehnten zunehmend dem hohen Platzbedarf vor allem abgestellter privater Pkw geopfert wurde, fällt heute kaum mehr auf. Doch es zeichnet sich ein Bewusstseinswandel ab. Einige Städte setzen bereits Maßnahmen, um Kfz-Privilegien abzubauen und so für die Menschen Raum zurückzugewinnen. Amsterdam will bis zum Jahr 2025 mehr als 11.000 Abstellplätze sukzessive entfernen, und in Bern soll die Hälfte der 17.000 innerstädtische Abstellplätze für andere Nutzungen geöffnet werden.

Das Prinzip der "Schwammstadt" gegen urbane Hitze

Mit 2,7 Grad Celsius über dem Durchschnitt war der Sommer des Jahres 2019 der zweitwärmste seit Messbeginn im Jahr 1767. Im Juli diesen Jahres gab es in vielen Orten Österreichs bereits bis zu zehn Hitzetage mehr als normalerweise im ganzen Sommer. Besonders betroffen von der Hitze sind die Städte, in denen wegen ihrer dichten Bebauung höhere Temperaturen entstehen als im Umland. Dieser Wärmeinseleffekt macht bis zu zehn Grad Temperaturunterschied aus. Die tagsüber aufgeheizten Oberflächen behindern die nächtliche Abkühlung und führen zu immer häufigeren und längeren Phasen, in denen die Tiefsttemperatur auch nachts nicht unter zwanzig Grad sinkt.
Das Prinzip der "Schwammstadt" verwirklicht durchlässige Straßenoberflächen mit vergrößerten Schotterbereichen im Untergrund. Einerseits finden so Bäume genug Platz zum Wachsen, andererseits kann Regenwasser lokal versickern - und bei Hitze durch langsames Verdunsten die Umgebung aktiv kühlen.

Wie die Umstellung auf E-Fahrzeuge gelingen kann

E-Mobilität war durch den Start von E-Scooter-Sharing in Wien in vielen Medien Thema. Schon im Jahr 2017 wurden geschätzte 20.000 E-Scooter (Tretroller mit E-Antrieb bis 25 km/h, Quelle VSSÖ) in Österreich verkauft. Das Beispiel E-Scooter zeigt, dass die Verbreitung der E-Mobilität „von unten“, also die Elektrifizierung kleiner, leichter Fahrzeuge wie Fahrräder oder Roller, enorm an Bedeutung gewinnt. Das erfolgreichste Elektro-Fahrzeug in Österreich ist das E-Fahrrad, mit rund 120.000 verkauften Stück und einem Marktanteil von 29 Prozent allein im Jahr 2017.

Grünflächen gegen Hitze brauchen Platz

Da die Klimakrise den Trend zu mehr Hitzetagen fortsetzen wird, arbeiten Städte und Forschungseinrichtungen an Maßnahmen zur Klimawandelanpassung. Insbesondere sollen mehr Grünflächen, Bäume und Fassadenbegrünung urbane Hitzeinseln und die Folgen von Starkregen reduzieren. Derzeit beansprucht der Kfz-Verkehr für Fahrbahnen und Stellplätze besonders im dicht verbauten Stadtraum viel von dem knappen Platz, der für Bepflanzungen, Entsiegelung der Böden oder Vernetzung von Grünräumen dringend gebraucht wird. Das zeigt, wie wichtig es für das urbane Mobilitätssystem ist, dass Verkehrsmittel nicht nur emissionsfrei sondern auch platzsparend sind, wie der Öffentliche Verkehr, Gehen, Radfahren und Sharing-Systeme.