Städten und Gemeinden mehr Möglichkeiten für Tempo 30 einräumen

Von Lina Mosshammer (VCÖ - Mobilität mit Zukunft), Mai 2023

Die Vorteile von Verkehrsberuhigung und Temporeduktion im Ortsgebiet sind überzeugend: Weniger Verkehrsunfälle, weniger menschliches Leid, mehr Lebensqualität im Wohnumfeld. Wir nehmen Tempo 30 statt 50 akustisch als Halbierung des Verkehrs wahr.

Trotzdem behindert die aktuelle Rechtslage Städte und Gemeinden auf dem Weg zur notwendigen Verkehrswende. Es braucht einen neuen straßenverkehrsrechtlichen Rahmen, der es vereinfacht, Tempo 30 als verkehrlich, sozial, ökologisch und stadtplanerisch angemessene Höchstgeschwindigkeit überall dort umzusetzen, wo es sinnvoll ist – auch auf Straßenzügen im Hauptverkehrsstraßennetz sowie auf Landesstraßen innerorts.

Aktuelle Straßenverkehrsordnung erschwert Umsetzung

Die Umsetzung von Tempo 30 auf Basis des §43 der Straßenverkehrsordnung (StVO) muss zur Fernhaltung von Gefahren und Belästigungen insbesondere durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe nicht nur einen Beitrag leisten, sondern dafür erforderlich sein. Dieser Nachweis ist auf breiten, für  Tempo 50 ausgelegten Straßen oft nicht zu erbringen – wodurch das Tempo durch die Infrastruktur in Stein gemeißelt ist und eine Tempo-Reduktion einen kostspieligen Straßenumbau voraussetzen würde.

Landesstraßen als größte Hürde

Besonders schwierig ist die Umsetzung im Hauptverkehrsstraßennetz sowie auf Landesstraßen, die durch das Ortsgebiet gehen. Sowohl Gemeinden in Bezug auf Gemeindestraßen, als auch Länder bei Landestraßen im Ortsgebiet sind bei Tempo-Reduktionen auf Bewilligung durch die Bezirksbehörde angewiesen – welche die StVO aus Gründen der Amtshaftung häufig sehr streng auslegt. Trotz gutem Willen aller Beteiligten entstehen dadurch Pattsituationen, die Verkehrsberuhigung im Ortsgebiet erschweren oder verhindern.

Grafik: Vorteile von Tempo 30 visuell dargestellt

Potentiale können nicht einbezogen werden

Vorausschauende Verkehrsplanung wird verunmöglicht, wenn nur gegenwärtige Frequenzen von Radfahrenden und Gehenden als Begründung gelten. Wird mit der Umsetzung von Tempo 30 und einer etwaigen neuen Gestaltung des öffentlichen Raums Radfahren und Gehen erst richtig attraktiv, kann dieses Potenzial im Sinne einer zukunftsorientierten Verkehrsplanung derzeit nicht als Begründung verwendet werden. Auch Kriterien in Bezug auf Klimaschutz, Klimawandelanpassung sowie Lebens- und Aufenthaltsqualität speziell in Ortszentren, Wohngegenden und vor Schulen können aktuell nicht als Begründung für Tempo 30 geltend gemacht werden.

Tempo 30 ist nicht nur ein Straßenschild

Tempolimits haben nur dann einen Mehrwert, wenn sie auch eingehalten werden. Daher bedarf es auch weiterer Möglichkeiten der punktuellen Geschwindigkeitsmessung in Gemeinden und Städten. Eine optische Umgestaltung (oder: Aufwertung) des Straßenraums sowie bauliche Maßnahmen, etwa Aufpflasterungen, Mittelinseln und vorgezogene Gehsteige an Schutzwegen, sind außerdem wirksame Mittel zur Tempo-Reduktion und für höhere Verkehrssicherheit.

Temporeduktion einfach umsetzen

Viele Städte und Gemeinden würden gerne häufiger Temporeduktionen umsetzen, dies ist aber auf Basis der derzeitigen Gesetzeslage nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Daher unterstützen bereits mehr als 130 Städte und Gemeinden aus ganz Österreich die VCÖ-Initiative und fordern eine Anpassung der StVO, um ohne Einschränkungen und Hindernisse Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts dort umsetzen können, wo es mit Hinblick auf die notwendige Verkehrswende sinnvoll ist.

Gemeinden und Städte können die Initiative noch bis 20. Juni unterstützen: www.vcoe.at/tempo30

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