Koordination statt Wildwuchs: City-Logistik als Konzept für die Zukunft

Von Michael Schwendinger (VCÖ - Mobilität mit Zukunft), Februar 2023

Urbaner Güterverkehr verursacht global betrachtet zwar lediglich vier Prozent des Güterverkehrsaufwands in Tonnenkilometern, jedoch rund ein Viertel der CO2-Emissionen. Neben dem Aspekt der Klimaverträglichkeit stellt er Städte jedoch auch aus anderen Gründen vor große Herausforderungen: Transportfahrzeuge sind überdurchschnittlich oft an Verkehrsunfällen beteiligt, verursachen durch häufiges Anfahren und Abbremsen verhältnismäßig viel Lärm und Schadstoffe, der hohe Zeitdruck kombiniert mit fehlenden Ladezonen führt oft zum Halten in zweiter Spur oder auf Geh- und Radwegen, was ein Sicherheitsrisiko und Hindernis für andere Verkehrsteilnehmende darstellt.

Was dazu kommt: diese Herausforderungen werden sich nicht von alleine bewältigen. Gemäß Prognosen nimmt der Verkehrsaufwand im Segment urbaner Güterverkehr global bis zum Jahr 2050 überdurchschnittlich stark um 41 Prozent zu. Durch den anhaltenden Trend zur Urbanisierung und dem beginnenden Umdenken weg von einer auto-, hin zu einer menschengerechten Stadt mit höherer Aufenthaltsqualität, nimmt auch die Nutzungskonkurrenz um öffentliche Flächen absehbar zu.

Grafik: Anzahl der Paketbestellungen ist in Wien von 58 Millionen Stück im Jahr 2015 auf 128 Millionen Stück pro Jahr im Jahr 2021 gestiegen.

Packerlwirtschaft und Ressourcenverschwendung

Dazu lassen sich derzeit Trends beobachten, die den Verkehrsaufwand für innerstädtische Gütertransporte zusätzlich erhöhen: Zunahme von Online-Bestellungen, immer kürzere Lieferfristen mit „same day delivery“ als Ideal und der heutige Standard von kostenlosen Retoursendungen. Bekam ein Privathaushalt in Wien im Jahr 2015 noch rund drei Pakete pro Monat zugestellt, waren es im Jahr 2021 bereits mehr als neun – eine Verdreifachung innerhalb von sechs Jahren.

Drei von vier online bestellte Bekleidungsartikel werden zurückgeschickt – nicht, weil die Lieferungen schadhaft wären, sondern mit den häufigsten Begründungen „passt nicht“ und „gefällt nicht“. In Summe ergab das im Jahr 2020 rund 46 Millionen Rücksendungen. Mit dem verursachten Verkehrsaufwand nicht genug: alleine im Bereich Bekleidung und Elektronik wurden zudem rund 1,4 Millionen Retouren an neuwertiger Ware vernichtet.

Neben Bewusstseinsbildung und besserer Information, etwa in Form von virtuellen Anproben, könnte eine verpflichtende Rücksendegebühr das Ausmaß dieser Ineffizienz und Verschwendung reduzieren. Eine Studie aus Deutschland zeigt, dass durch eine Rücksendegebühr von drei Euro immerhin 16 Prozent der Retouren vermieden werden könnten – und zudem kleinere Händlerinnen und Händler unterstützt würden, die Gratis-Retouren vor allem aufgrund des Konkurrenzdrucks mit den globalen Handelsriesen anbieten müssen. Im Sinne des Verursacherprinzips wäre dies nur fair, denn natürlich sind auch Gratis-Retouren nicht kostenlos – nur werden diese Kosten derzeit, meist unbewusst, von allen getragen.

City-Logistik und Mikro-Hubs: Lösung in Sicht

Unter dem Schlagwort „City-Logistik“ versammeln sich unterschiedliche Maßnahmen mit dem Ziel, den urbanen Güterverkehr effizienter und emissionsfrei zu organisieren. Drei wesentliche Schlagworte sind:

  • Konsolidierung: also gebündelte, koordinierte Zustellung statt mehrfach, doppelt und separat
  • Emissionsfreie Fahrzeuge: also kleine E-Transporter oder Cargo-Bikes statt Diesel-Lkw
  • Flächenmanagement: also ausgewiesene und kontrollierte Ladezonen statt Halten in 2. Spur

Ein besonders vielversprechendes Konzept sind sogenannte Mikro-Hubs: kleine, innerstädtische Depots, wo Lieferungen gebündelt und für die Feinverteilung auf kleine, emissionsfreie Fahrzeuge umgeschlagen werden. Der Paketzusteller UPS setzte Mikro-Hubs erstmals im Jahr 2012 in Hamburg ein. Weil das Projekt auch kostenmäßig erfolgreich war, wurde es auf mehr als 30 Städte weltweit ausgeweitet – darunter auch Kleinstädte wie Westerstede.

Auch in Österreich gibt es bereits erfolgreiche Pilotprojekte dazu. Im Projekt „Inns’Paket“ wurde das Potenzial von Mikro-Hubs vom Jahr 2020 bis 2022 für die Innsbrucker Innenstadt erforscht und im Pilotbetrieb umgesetzt. Speziell für Private hat sich die gebündelte Zustellung als vorteilhaft erwiesen, an der Überführung in einen eigenwirtschaftlichen Betrieb wird gearbeitet. Mit „GrazLog“ gibt es ein ähnliches System für die Grazer Innenstadt, dass seit dem Jahr 2021 im Pilotbetrieb ist und Lieferungen und Retouren für Unternehmen und Privatpersonen in der

Grazer Innenstadt in einem zentrumsnahen Midi-Hub konsolidiert und von dort die „letzte Meile“ nachhaltig abwickelt. Zustellung und Abholung erfolgen in einem individuell vereinbarten Zeitfenster basierend auf einer digital optimierten Tourenplanung in Kooperation mit anderen Transportdienstleistern. Ab dem Jahr 2023 wird das System ohne städtische Ko-Finanzierung durch den privaten Betreiber weitergeführt.

Flächen- und Zonenmanagement als Hebel

Ob Städte wollen oder nicht: die Organisation des urbanen Güterverkehrs wird sowohl was Lebensqualität, als auch Klimaverträglichkeit angeht zu einem immer wichtiger werdenden Aufgabenbereich. Die gute Nachricht ist: gut koordinierte City-Logistik bietet die Chance, diese Herausforderung zu meistern und nebenher die Effizienz des urbanen Güterverkehrs deutlich zu verbessern. Ein entscheidender Hebel für Städte ist vorausschauendes Flächen- und Zonenmanagement. Ein Ergebnis des Projekts Inns’Paket war, dass es aus gesetzlichen Gründen nicht möglich ist, Lieferunternehmen zur Kooperation mit einem Mikro-Hub zu verpflichten.

In Graz hat man durch eine restriktivere Handhabung von Ausnahmebewilligungen für die Einfahrt in die innerstädtische Fußgängerzone nach dem legalen Lieferzeitfenster einen Kooperationsanreiz mit dem erwähnten Midi-Hub geschaffen. Diesbezüglicher Vorreiter sind aber die Niederlande: Bereits 28 Städte, darunter Amsterdam, Rotterdam, Utrecht, Eindhoven und Den Haag, haben beschlossen, ab dem Jahr 2025 in der Innenstadt gänzlich emissionsfreie Zonen zu etablieren. Die gesetzliche Grundlage dafür müsste in Österreich erst geschaffen werden.

Weitere Informationen zum Thema und Quellenangaben finden Sie im VCÖ-Factsheet „Effiziente City-Logistik zum Standard machen“.

Der VCÖ ist gemeinnützig und setzt sich für eine ökologisch verträgliche und sozial gerechte Mobilität mit Zukunft ein. Wir sind auf Spenden von Privatpersonen angewiesen. Bitte unterstützen Sie uns mit Ihrer steuerlich absetzbaren Spende.

Jetzt spenden

 

Das könnte Sie auch interessieren

AFIR stellt die Weichen: Infrastruktur für emissionsfreien Straßengüterverkehr

Im Straßengüterverkehr gibt es unterschiedliche Technologien, die derzeit im Zusammenhang mit der angestrebten Dekarbonisierung diskutiert werden. Grob eingeteilt sind das elektrische Lkw (E-Lkw), Wasserstoff-Lkw (H2-Lkw) und Flüssiggas-Lkw (LNG-Lkw). Jede dieser Technologien braucht eine separate Infrastruktur, um betrieben werden zu können und jede Technologie hat naturgemäß gewisse Vor- und Nachteile. In der Praxis braucht es eine betriebsnotwendige Infrastruktur, bevor die Lkw auf die Straße geschickt und angeschafft werden. In einer Welt mit beschränkten Ressourcen an Geld, Baukapazitäten, Rohstoffen und Zeit zielt die zentrale Frage somit vor allem auf die Priorität: Worauf den Fokus legen?

Tempo 30 in der Stadt rettet Leben

Menschen in Städten sind besonders von den negativen Auswirkungen des Verkehrs betroffen – und das hat auch gesundheitliche Folgen. Abgestellte Autos nehmen in Städten einen großen Teil des öffentlichen Raums ein. Die starke Versiegelung ändert das Mikroklima und erhöht lokal die Hitze nachweislich. Gleichzeitig stellen sowohl durch abgestellte Autos verstellte Straßen und Kreuzungen aufgrund der Sichteinschränkung und die hohen Geschwindigkeiten der fahrenden Fahrzeuge ein Sicherheitsrisiko insbesondere für alle, die zu Fuß, mit Fahrrad oder Roller mobil sind, dar. Verkehr verursacht maßgeblich Schadstoffe in der Luft. Das führt zu Lungenkrankheiten und Einschränkungen wie Atemnot oder Husten. Kopfschmerzen und Schlafstörungen sind nur zwei der vielen Auswirkungen von dauerhaftem Verkehrslärm auf die Gesundheit der Menschen. Eines ist klar, Verkehr beeinträchtigt unsere Gesundheit.

Fehlanreize abschaffen, ökosoziale Reform des Pendelpauschales angehen

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat das Thema Energieabhängigkeit schlagartig weit nach oben auf die politische Agenda gebracht. Zu Recht, denn die derzeitige Import-Abhängigkeit von fossiler Energie ist mehrfach problematisch: als unkalkulierbarer Kostentreiber für Privathaushalte sowie als Unsicherheitsfaktor für die politische und wirtschaftliche Stabilität Österreichs. Mehr als 90 Prozent des importierten Rohöls stammen aus Kasachstan, Libyen, Irak, Russland und Jemen – allesamt keine Horte von Stabilität, Demokratie und Menschenrechten. Mit 81 Prozent wird der Großteil des Rohöls im Verkehr verbrannt – wo demnach der größte Handlungsbedarf besteht.

Menschengerechtes Verkehrssystem heißt: Tempo 30 innerorts zum Standard machen

Im Jahr 1992 war die Stadt Graz mit der Umsetzung von flächendeckendem Tempo 30 mit Ausnahme der Hauptstraßen internationale Vorreiterin. Zahlreiche Städte in Österreich, etwa Dornbirn, Leoben und Mödling sowie international, wie Grenoble, Helsinki, Lille, Zürich oder Barcelona sind dem Beispiel gefolgt. Zuletzt setzte Brüssel zu Beginn des Jahres 2021 Tempo 30 im verbauten Gebiet als Standard, Tempo 50 wurde zur beschilderten Ausnahme. Im Jahr 2020 wurde in den Niederlanden im Parlament beschlossen, flächendeckend Tempo 30 einführen zu wollen. Seit 11. Mai 2021 ist dies in Spanien als erstem EU-Staat Realität, landesweit gilt Tempo 30 im Ortsgebiet auf Straßen mit einer Kfz-Fahrbahn je Richtung, Tempo 20 auf Straßen mit nur einer Fahrbahn. In Österreich wird derzeit an einer Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO) gearbeitet. Es lässt sich mit Hinblick auf die lokale Lebensqualität sowie Verkehrssicherheit kaum begründen, warum Österreich dem spanischen Beispiel nicht folgen sollte.