Fehlanreize abschaffen, ökosoziale Reform des Pendelpauschales angehen

Von Michael Schwendinger (VCÖ - Mobilität mit Zukunft), Juni 2022

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat das Thema Energieabhängigkeit schlagartig weit nach oben auf die politische Agenda gebracht. Zu Recht, denn die derzeitige Import-Abhängigkeit von fossiler Energie ist mehrfach problematisch: als unkalkulierbarer Kostentreiber für Privathaushalte sowie als Unsicherheitsfaktor für die politische und wirtschaftliche Stabilität Österreichs. Mehr als 90 Prozent des importierten Rohöls stammen aus Kasachstan, Libyen, Irak, Russland und Jemen – allesamt keine Horte von Stabilität, Demokratie und Menschenrechten. Mit 81 Prozent wird der Großteil des Rohöls im Verkehr verbrannt – wo demnach der größte Handlungsbedarf besteht.

Pendelverkehr als Chance begreifen

Pkw verursachen rund zwei Drittel der Treibhausgas-Emissionen des Verkehrs in Österreich. Werktags sind Arbeitswege mit 26 Prozent der wichtigste Wegzweck. Mit 60 Prozent werden überdurchschnittlich viele Arbeitswege im Auto zurückgelegt, umgekehrt ist der Anteil an Fahrgemeinschaften weniger als halb so hoch wie im Gesamtdurchschnitt. Zusammen mit Dienstwegen verursachen Arbeitswege werktags mehr als die Hälfte des Autoverkehrs der privaten Haushalte in Österreich. Kurz gesagt: Arbeitswege sind sehr verkehrsrelevant und erdölintensiv.

Umgekehrt bergen sie großes Potenzial, die Erdölabhängigkeit zu reduzieren. Sechs von zehn Arbeitswegen sind kürzer als 10 Kilometer – bei entsprechender Radweg-Infrastruktur eine gute Radfahr-Distanz. Arbeitswege sind regelmäßig – beste Voraussetzungen für eine effiziente Organisation durch Öffentlichen Verkehr, Werkbusse oder Fahrgemeinschaften. Zudem prägen Arbeitswege Routinen. Gelingt es durch entsprechende Anreizsysteme und Rahmenbedingungen Arbeitswege vom Auto auf den Öffentlichen Verkehr oder das Fahrrad zu verlagern, ist ein großer Schritt in Richtung Erdölunabhängigkeit getan.

Pendelpauschale ist nicht mehr zeitgemäß

Die gute Nachricht: Österreich hat ein umfassendes Fördersystem für Arbeitswege, mit dem Anreize für gesellschaftlich relevante Ziele gesetzt werden können. Die schlechte Nachricht: derzeit gehen diese Anreize in die falsche Richtung – die Pendelförderung ist undurchsichtig, kontraproduktiv und teuer. Der Verkehrsabsetzbetrag ist als grundsätzliche Abgeltung für Fahrten zwischen Wohnort und Arbeitsstätte vorgesehen. Dazu kommen Pendelpauschale, Pendeleuro und Zusatzförderungen einzelner Bundesländer. In Summe gibt alleine der Bund dafür in etwa 1,5 Milliarden Euro jährlich aus. Zum Vergleich: das Budget für Umwelt- und Klimaschutz betrug mit rund 680 Millionen Euro im Jahr 2021 weniger als die Hälfte.

Das Pendelpauschale wurde in den 1970er Jahren eingeführt, um die Abwanderung aus strukturschwachen Regionen zu vermeiden. Heute sind 40 Prozent der Anträge auf Pendelpauschale für Arbeitswege unter 20 Kilometer, lediglich 10 Prozent für weite Arbeitswege über 60 Kilometer. Die Top 5-Bezirke mit den meisten Pendelnden liegen allesamt im Speckgürtel rund um eine Landeshauptstadt, jeweils mit überdurchschnittlich hohem Haushaltseinkommen. Weil das Pendelpauschale als Steuerfreibetrag ausgestaltet ist, profitieren Beschäftigte umso mehr, je höher die Einkommenssteuerklasse ist. Im Ergebnis führt das dazu, dass mit 35 Prozent der größte Anteil der Steuerbegünstigung durch das Pendelpauschale an das reichste Einkommensviertel fällt, während das ärmste Einkommensviertel mit drei Prozent fast nichts bekommt. Auch aus ökologischer Perspektive ist das Pendelpauschale ein Problem: die Förderung trägt dazu bei, dass weitere Arbeitswege in Kauf genommen werden. Es wird für die Berechnung des Pendelpauschales zwar ein Unterschied gemacht, ob eine gute Anbindung mit Öffentlichem Verkehr verfügbar ist – welches Verkehrsmittel im Endeffekt genutzt wird, spielt aber derzeit keine Rolle.

Vor einem halben Jahrhundert mag das Pendelpauschale ein praktikables Mittel zur Erreichung gesellschaftlich relevanter Zwecke gewesen sein. Heute ist es eine aus der Zeit gefallene, klimaschädliche, sozial unausgewogene Subvention. Noch deutlicher hat das Benjamin Bittschi,  Ökonom und Steuerexperte am IHS, formuliert: „Vereinfacht und überspitzt gesagt, bezahlt eine im städtischen Arbeiterviertel wohnende Putzfrau die Fahrt von Ärzten und Rechtsanwälten aus der Villa im Speckgürtel in die innerstädtische Arbeit, ohne für die erhöhten Wohnkosten im urbanen Raum entschädigt zu werden.“1

Pendelpauschale nicht reformieren ist auch keine Lösung

Als Reaktion auf die kriegsbedingte Energiekrise hat die Bundesregierung das Pendelpauschale bis Juni 2023 vorübergehend um 50 Prozent erhöht, der Pendeleuro wurde vervierfacht. Eine solche Unterstützung bekämpft kurzfristig Symptome, mittelfristig braucht es Maßnahmen gegen das eigentliche Problem der starken Erdölabhängigkeit des Verkehrs. Über eine sozialökologische Reform des Pendelpauschales wird seit vielen Jahren diskutiert, auch im aktuellen Regierungsprogramm steht sie verankert. Zwei Aspekte sind dabei zentral: Erstens muss die soziale Treffsicherheit verbessert werden, etwa durch Umstellung auf einen Absetzbetrag und eine Einschleifregelung für Spitzengehälter. Zweitens sind Anreize für ein klimaverträgliches Mobilitätsverhalten am Weg zur Arbeit zu implementieren. Wo guter Öffentlicher Verkehr zur Verfügung steht, soll es einen steuerlichen Anreiz zur Nutzung desselben geben. Auch die bundeslandweiten Klimatickets könnten dabei mitgedacht werden und etwa anstelle des kleinen Pendelpauschales – dieses bekommen Pendlerinnen und Pendler mit guter öffentlicher Verkehrsanbindung – zur Verfügung gestellt werden. Damit entsteht ein starker Anreiz, auch in der Freizeit häufiger Bus und Bahn zu nutzen. Wo ab Wohnort kein ausreichendes Öffi-Angebot verfügbar ist, machen steuerliche Anreize zur Nutzung von Park-and-Ride-Anlagen Sinn.

Das Pendelpauschale ist politisch gesehen ein heißes Eisen und eine sozialökologische Reform derselben wird die Dekarbonisierung des Verkehrs nicht alleine bewerkstelligen können. Keine Reform ist auch keine Lösung, denn die heutige Erwachsenengeneration wird den eigenen Kindern vermutlich nicht schlüssig erklären können, weshalb eine kontraproduktive, teure und sozial unausgewogene Förderung weiterhin so bleiben soll, wie sie ist. Bis Juni 2023 läuft die vorübergehende Notlösung. Wann, wenn nicht jetzt die Frage angehen: quo vadis Pendelpauschale?

Blog abonnieren

Mehr Informationen zum Thema:

 


Quellen:

1 Bittschi B.: Die Pendlerpauschale – ein steuerpolitischer Irrweg. In: Der Standard, 30.1.2020. URL: https://www.derstandard.at/story/2000113930832/die-pendlerpauschale-ein-steuerpolitischer-irrweg


Der VCÖ ist gemeinnützig und setzt sich für eine ökologisch verträgliche und sozial gerechte Mobilität mit Zukunft ein. Wir sind auf Spenden von Privatpersonen angewiesen. Bitte unterstützen Sie uns mit Ihrer steuerlich absetzbaren Spende.

Jetzt spenden

 

Das könnte Sie auch interessieren

Tempo 30 in der Stadt rettet Leben

Menschen in Städten sind besonders von den negativen Auswirkungen des Verkehrs betroffen – und das hat auch gesundheitliche Folgen. Abgestellte Autos nehmen in Städten einen großen Teil des öffentlichen Raums ein. Die starke Versiegelung ändert das Mikroklima und erhöht lokal die Hitze nachweislich. Gleichzeitig stellen sowohl durch abgestellte Autos verstellte Straßen und Kreuzungen aufgrund der Sichteinschränkung und die hohen Geschwindigkeiten der fahrenden Fahrzeuge ein Sicherheitsrisiko insbesondere für alle, die zu Fuß, mit Fahrrad oder Roller mobil sind, dar. Verkehr verursacht maßgeblich Schadstoffe in der Luft. Das führt zu Lungenkrankheiten und Einschränkungen wie Atemnot oder Husten. Kopfschmerzen und Schlafstörungen sind nur zwei der vielen Auswirkungen von dauerhaftem Verkehrslärm auf die Gesundheit der Menschen. Eines ist klar, Verkehr beeinträchtigt unsere Gesundheit.

Menschengerechtes Verkehrssystem heißt: Tempo 30 innerorts zum Standard machen

Im Jahr 1992 war die Stadt Graz mit der Umsetzung von flächendeckendem Tempo 30 mit Ausnahme der Hauptstraßen internationale Vorreiterin. Zahlreiche Städte in Österreich, etwa Dornbirn, Leoben und Mödling sowie international, wie Grenoble, Helsinki, Lille, Zürich oder Barcelona sind dem Beispiel gefolgt. Zuletzt setzte Brüssel zu Beginn des Jahres 2021 Tempo 30 im verbauten Gebiet als Standard, Tempo 50 wurde zur beschilderten Ausnahme. Im Jahr 2020 wurde in den Niederlanden im Parlament beschlossen, flächendeckend Tempo 30 einführen zu wollen. Seit 11. Mai 2021 ist dies in Spanien als erstem EU-Staat Realität, landesweit gilt Tempo 30 im Ortsgebiet auf Straßen mit einer Kfz-Fahrbahn je Richtung, Tempo 20 auf Straßen mit nur einer Fahrbahn. In Österreich wird derzeit an einer Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO) gearbeitet. Es lässt sich mit Hinblick auf die lokale Lebensqualität sowie Verkehrssicherheit kaum begründen, warum Österreich dem spanischen Beispiel nicht folgen sollte.

Hitzewellen nehmen zu

Durch die Erderhitzung nehmen Wetterextreme, wie Starkregen, Stürme und, wie derzeit stark bemerkbar, Hitze zu. Im Zeitraum der Jahre 1971 bis 1991 gab es in den meisten Österreichischen Landeshauptstädten fünf bis elf Hitzetage mit über 30 Grad. Zwischen den Jahren 1991 bis 2020 waren es bereits 16 bis 22 Hitzetage und Höchstwerte bei über 40. Eine Studie der ETH Zürich rechnet in Wien im Jahr 2050 mit Temperaturen wie heute im nordmazedonischen Skopje. Für Kärnten wird bis zum Jahr 2100 mit einem Anstieg von bis zu 4,2 Grad Celsius im Jahresmittel gerechnet. Das hat gravierende Folgen. Mit der Zunahme von Hitzetagen treten auch vermehrt gesundheitliche Risiken auf.

Was die ökosoziale Steuerreform mit Öffentlichem Verkehr zu tun hat

Der Öffentliche Verkehr ist somit das zentrale Rückgrat für ein klimaverträgliches Verkehrssystem. Es stellt sich die Frage: Wie kann es gelingen, einen möglichst großen Anteil des Pkw-Verkehrs auf die Öffis zu verlagern? Dazu hat der VCÖ rund 250 Fachleute aus über 150 Organisationen mit Mobilitätsbezug aus den Bereichen Forschung, Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft befragt.